Haushaltsrede 2024

Beliebter Einstieg einer Haushaltsrede auf Kreisebene ist die Lage der Nation, die Bundes- oder Landespolitik. Wir haben das nie getan. So auch diesmal. Ich wähle für den Einstieg stattdessen ein Ereignis vom 1. Advent.

Zwanzig Minuten vor Beginn des Jahreskonzert des Musikvereins Harmonie Betra, erfährt deren Dirigent, dass einige Konzertbesucher wegen Glatteis mit ihren Fahrzeugen keinen Millimeter mehr weiterkommen, darunter auch meine Familie und ich. Obwohl er sich so kurz vor Konzertbeginn konzentrieren muss, gibt der Dirigent einem seiner Musiker, der über PS starke Schlepper verfügt, Bescheid, der beauftragt noch während er seine Tuba richtet, seine Mitarbeiter, sämtliche Autofahrer aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Zur zweiten Hälfte schaffen wir es zum Konzert, und mit uns alle Insassen aus den anderen Autos, denn wie sich herausstellt, wollten alle zum Konzert. Die Retter nahmen kein Geld, der Musikverein keinen Obolus für den Eintritt. Deren Begründung: „Sie hatten alle Aufregung genug, setzen Sie sich, genießen Sie die Musik“.

Sie werden sich fragen, was diese Geschichte, die zwar gut in die Adventszeit passt, mit dem Kreishaushalt zu tun hat. Nun man könnte sie als Aufhänger für einen besseren ÖPNV nehmen. Gäbe es ihn, bräuchte man nicht von Musbach nach Betra mit dem Auto fahren. Es ließe sich auch ein Bezug zu dem Ausbau von Straßen oder die Situation der Räum- und Streufahrzeuge ziehen. Man könnte aber auch darauf hinweisen, wie wichtig doch eine gute Netzabdeckung mitten im Wald sein kann.

Aber ich will auf etwas anderes heraus. Etwas, das sich durch die ganze Haushaltsrede der Liste „Frauen in den Kreistag“ ziehen wird. Es sind unsere Bürger in unserem Landkreis, die wir gerade jetzt in Zeiten knapper Kassen und politischer Unsicherheiten brauchen, auf die wir setzen können und deren Knowhow wir nutzen sollten, um gemeinsam die Probleme zu schultern, denn Probleme gibt es zuhauf: Krankenhaus, Kinderbetreuung, Abfallwirtschaft usw.

Die finanzielle Situation – wir haben es gehört – ist alles andere als gut. „Stellen Sie keine Anträge“, kam der Ruf, wie der Name es schon sagt, vom Bürgermeister Ruf, in Richtung der Frauen. Falsch! In solchen Situationen heißt es kreativ sein und gerade zu investieren, und zwar in die richtigen Projekte. Diesen Ratschlag geben auch die meisten Wirtschaftswissenschaftler der Bundesregierung. Die Menschen dabei ins Boot zunehmen, sie einzubinden und mitentscheiden zu lassen, ist ebenso wichtig.

Ein gutes Beispiel dafür war die Nachhaltigkeitskonferenz. Die Teilnehmer äußerten sich bei der letzten Veranstaltung rundweg zufrieden. Die Bürger waren kreativ und engagiert wie die Musiker in Betra. Sie fühlten sich mitgenommen. Einzig und allein die Frage, wie geht es weiter, treibt viele um.

Die Verwaltung sicherte zu, die Ideen auch umzusetzen. Der Kreistag wird darüber entscheiden, was landet in der Schublade, was nicht. Wir von der Frauenliste sind zuversichtlich, bitten aber die Verwaltung, all diejenigen, die dafür ihre Freizeit eingesetzt haben, genau wie die Kreistagsmitglieder kontinuierlich über die Entscheidungen zu informieren. Sie meinen, das ist selbstverständlich. Nein, ist es scheinbar nicht. Die Teilnehmer wurden aufgefordert, sich selbst auf der Homepage des Landkreises darüber zu informieren.

Wir sagen, das ist der falsche Weg. So, wie alle Teilnehmer mit einem Klick per Mail über die Termine und deren Inhalte informiert wurden, so können sie auch jetzt kontinuierlich über die Ergebnisse informiert werden. Nur dadurch fühlen sie sich weiterhin eingebunden und wertgeschätzt. Ist so eine Selbstverständlichkeit es wert, in eine Haushaltsrede zu kommen? Ja, weil sie symptomatisch für die Denkweise wohl vieler Verwaltungen ist. Sie erwarten eine Holschuld der Bürger, doch das hat noch nie funktioniert und wird es auch in Zukunft nicht tun.

Die Bürger können zu Recht eine Bringschuld der Verwaltung erwarten, wenn sie sich ehrenamtlich engagieren. Das meinen nicht nur wir, sondern auch die Wirtschafts- und Verwaltungsexperten, die weisen beispielsweise auf andere Länder hin, in denen die Verwaltungen nicht nur den frischgebackenen Eltern zum Nachwuchs gratulieren, sondern ihnen dann auch schon mitteilen, ab wann und wo sie ihren Kindergartenplatz erhalten.

Auch die Jugendlichen wollen mitgenommen werden, das wurde an der hervorragend von der Verwaltung organisierten Jugendkonferenz deutlich. Sie fühlten sich aber nicht ausreichend informiert, meinten die jungen Menschen. Auf die Frage, wie sie denn zu erreichen seien, über welche Social Media Kanäle, kam ganz lapidar und mit einem Schmunzeln über die scheinbar dumme Frage: Wie wäre es mit Plakaten? Plakaten an Bushaltestellen, in den Schulen in unseren Klassenzimmer, an den Plätzen, wo wir uns aufhalten. Mittlerweile sind wir vielleicht viel zu verkopft, oder es bedarf mehr solcher Formate der Bürgerbeteiligung, um bürgernah zu bleiben.

Wir finden es diesbezüglich auch falsch, dass unser schon einmal gestellter Antrag, der auch mehrheitlich angenommen wurde, nicht kontinuierlich umgesetzt wird: Die Bürgerfragestunde vor jeder Kreistagssitzung und auch vor jeder Ausschusssitzung. Will man die Bürger einbinden, sollte man ihnen die Kommunikation so einfach wie möglich machen. Das heißt, Bürger dürfen zu jeder öffentlichen Sitzung kommen und Fragen stellen und müssen nicht warten oder suchen, wann diese Bürgerfragestunde einmal auf der Agenda steht.

Auch die Jugendlichen wollen mitwirken, nicht permanent, sondern punktuell. Hier sollte sich der Kreistag neue Formate überlegen. Es wäre doch überlegenswert, dass wichtige Anliegen, die  sich Jugendliche erarbeiten, ein- oder zweimal im Jahr dem Kreistag unterbreitet werden. Also den Jugendlichen damit ein Antrags- und Rederecht einzuräumen. Rechtlich ist das möglich, man muss es nur wollen.

Bürgermitwirkung muss einfach und machbar gestaltet werden. Dazu gehört für uns auch eine bessere Transparenz: Protokolle zeitnah auf die Homepage und Onlineübertragung der Sitzungen.

Ich habe es in der Sitzung der Fraktionsvorsitzenden schon angesprochen. Jetzt erheben wir Frauen den Vorschlag, der dort gescheitert ist, zum Antrag, damit alle Kreistagsmitglieder darüber entscheiden können. Ist diese Elefantenrunde, wie sie schmunzelnd auch genannt wird, noch zeitgemäß? Ist es nicht besser, immer alle Kreistagsmitglieder auf den gleichen Wissenstand zu setzen, als durch diese Vorgehensweise Kreistagsmitglieder erster und zweiter Klasse zu schaffen? Es wäre eine zeitliche Ersparnis, wenn die Themen nicht über diesen Umweg, sondern direkt in den nichtöffentlichen Sitzungen angerissen würden, um dann in den Fraktionssitzungen aufgearbeitet werden zu können. Es gäbe keine Information aus dritter Hand, also von Seiten der Fraktionssprecher und Fraktionssprecherinnen, sondern direkt von Ihnen, Herr Landrat. Dadurch gingen auch keine Informationen unter. Auch da wieder unser Anliegen, möglichst viele Menschen in schwierigen Zeiten einbinden, um gemeinsam zu Lösungen zu kommen.

Kommen wir wieder zurück zu unseren Bürgern, die schon immer in unserem Kreis ehrenamtlich sehr aktiv sind, denken Sie nur an die Asylhelfer. Ohne dieses Ehrenamt wäre die Betreuung der Flüchtlinge wohl krachend gescheitert. Wir bitten, zu prüfen, ob es die Möglichkeit gibt, ehrenamtliche Frauen und Männer in der Notaufnahme des Krankenhauses einzusetzen. Es gibt bereits Krankenhäuser, die so etwas praktizieren mit großem Erfolg. Diese Ehrenamtliche übernehmen in der Notfallaufnahme all die Tätigkeiten, zu denen keine medizinische Ausbildung nötig ist. Sie beruhigen die Patienten, stehen für deren Fragen, wann sie denn drankommen und wie lange sie noch warten müssen, zur Verfügung, bringen sie zu den einzelnen Untersuchungen und und und. Das entlastet die Ärzte und das Pflegepersonal und schenkt den Menschen in Not eine beruhigende Atmosphäre. Die finanziellen Belastungen der Aufwandsentschädigungen für diese ehrenamtlichen Hilfskräfte, stehen wahrscheinlich in keinem Verhältnis zu dem enormen Nutzen, den dieser Service für die Patientinnen und Patienten und den Ruf des Krankenhauses bedeuten würde.

Unser nächster Antrag, lieber Herr Ruf, der kostet tatsächliche Geld, ist aber notwendig, wenn wir Personal gewinnen möchten. Wir beantragen, nach Möglichkeiten zu suchen, wie das Kreiskrankenhaus im Zusammenspiel mit den Altersheimen, deren Personalsorgen ähnlich sind, ein Konzept der Kinderbetreuung zu finden. Dabei ist es wichtig, dass Eltern nicht nur ihre Kindergartenkinder gut versorgt wissen sollen, sondern auch die Schulkinder, wenn die Schule beendet ist. Immer mehr Firmen haben Betriebskindergärten, auch das Kreiskrankenhaus sollte das schaffen, muss es schaffen, um die Mitarbeiter zu halten oder neue zu gewinnen.

Die Pisa Studie hat es wieder gezeigt. Wir müssen in die Kinder investieren.  An dieser Stelle gilt der Dank der Frauenliste auch den Tageseltern. Es ist schade, aber verständlich, wenn es immer weniger werden. All denjenigen, die es dennoch für die geringe Bezahlung tun, gilt unsere Hochachtung.

In jeder Haushaltsrede haben wir darum gebeten, dass zum Neujahresempfang Rednerinnen eingeladen werden. Wenn überhaupt, dann stand bei diesem Empfang nur ein einziges Mal eine Frau am Rednerpult. In diesem Jahr gab es gar keinen Vortrag mehr und für nächstes Jahr ist auch keiner eingeplant. Begründung: Das Format des Smalltalks ohne Redner sei gut angenommen worden. Wir empfinden das als äußerst schade. Wenn man schon beim Neujahrsempfang viele Menschen, aus wichtigen Positionen und Schnittstellen zusammen bekommt, sollte man diese Chance nutzen, ihnen einen guten Impuls in Form eines erstklassigen Vortrages zu geben. Wir beantragen aus diesem Grund, das wieder einzuführen. Und dann bitte mit einer Frau beginnen. Es gibt in allen Bereichen genügend ausgezeichnete weibliche Rednerinnen.

Seit vier Jahren stellen wir auch einen ganz bestimmten Antrag. So auch in diesem Jahr wieder. Wir möchten der Kultur im Landkreis, den Stellenwert geben, der ihr zusteht. Aus der angedachten Kulturmeile wurde mittlerweile ein Anfangs-Exponat, das – so die gute Idee der Verwaltung – auf dem Mittelpunkt des Kreises in Grüntal errichtet werden sollte. Doch auch das wurde im TA gekippt. Herr Hornberger und Herr Wolf waren sich einig, wenn Geld knapp ist, dann soll man das wenige, was man hat – ich sage es mal überspitzt – bitte schön nicht für so was Überflüssiges wie Kultur ausgegeben. Es liegen Welten zwischen jenen, die Kultur als verzichtbaren Luxus ansehen und jenen, die sagen, dass die Kultur es ist, die den Menschen vom Tier unterscheidet.

Aber es ist müßig, darüber eine Diskussion zu führen, vielmehr möchte ich den Vorschlag von Elisabeth Gebele aufnehmen, die im Ausschuss meinte, man könnte diesen Antrag der Frauen am besten im Bereich des Abfallwirtschaftsamtes verwirklichen. Ihre Idee: Künstler auffordern, aus Abfall Kunstwerke zu erstellen. Das Ganze, so der Vorschlag von Frau Gebele, solle mit einer Aufklärung über Abfallvermeidung und Mülltrennung verbunden werden. Wir können da gut mitgehen. Das oder die Kunstwerke könnten dann entweder – wie von der Verwaltung vorgeschlagen – auf dem Mittelpunkt des Kreise in Grüntal, oder aber, wie von der SPD vorgeschlagen, auf dem Gelände der Gartenschau, oder aber – selbst das ist denkbar – auf den Recyclinghöfen des Kreise platziert werden, denn auch dort werden sie von sehr viele Menschen gesehen und können etwas bewirken.

Kommen wir zurück zu dem Vorfall in Betra. Im Musikverein Harmonie Betra, wie in vielen anderen Vereinen und Gruppierungen, engagieren sich Menschen, sind bereit Verantwortung zu übernehmen. All das muss unterstützt werden, auch wenn es Geld kostet, denn dieses Geld ist gut investiertes Geld. Dieses Engagement muss gewürdigt werden und diesen Menschen gebührt die Wertschätzung.

Wirtschaftswissenschaftler sagen voraus, dass bis 2030 bundesweit voraussichtlich eine Million Fachkräfte im öffentlichen Sektor fehlen und schlagen vier Wege vor, aus dem Dilemma herauszukommen: 1. Zuwanderung nutzen, 2. Fachleute gezielt anwerben, 3. ältere Menschen mit Fachkenntnissen motivieren, später in Rente zu gehen und 4. vor allem auf das Ehrenamt zu setzen.  Das bedeutet aber nicht, das ehrenamtliche Engagement auszunutzen, sondern mit entsprechender guter Aufwandsentschädigung, was immer noch billiger ist als alles andere, zu nutzen. Wenn wir es als Landkreis schaffen auch in schwierigen Zeiten, die Menschen hinter uns zu scharen, mitzunehmen und sie offen, ehrlich und fair um Hilfe zu bitten, dann ist das außerdem die beste Garantie dafür, dass diese Menschen auch demokratische Parteien wählen und schwierige Entscheidungen mittragen, weil sie sich mitgenommen fühlen, die Zusammenhänge verstehen und dadurch zufriedener sind. Dann können wir Menschen davon abhalten rechtsextrem zu wählen. Das tun sie nämlich immer dann – wie uns die Geschichte gezeigt hat – wenn sie Angst haben, in Sorgen sind, und sich allein gelassen fühlen.

Lassen wir sie nicht allein, nehmen wir sie mit ins Boot. Lassen wir den Kreistag und seine wertvolle Arbeit nicht im Verborgenen, sondern rücken wir diese Arbeit in den Mittelpunkt des Kreises, indem wir möglichst viele Menschen mit in unsere Entscheidungen für die Zukunft einbeziehen. Suchen wir nach unkonventionellen Lösungen, sei es in Kindergärten, Schulen, im Kreiskrankenhaus, bei der Abfallwirtschaft im Naturschutz, dem ÖPNV, kurzum in all unseren Bereichen, für die wir als Kreis zuständig sind. Lassen wir die Menschen helfen, so wie es die Musiker in Betra spontan und selbstverständlich getan haben.